Liebe Dykes* und Unterstützer*innen!
Es tut gut, euch zu sehen!
Es tut gut, euch zu hören!
Wir freuen uns schon sehr darauf, gleich mit euch allen durch die Straßen zu ziehen. Bevor wir uns gemeinsam auf den Weg machen, ist es uns allerdings wichtig, noch ein paar Worte zu sagen. Es ist es uns ein Anliegen, uns und euch an ein paar Grundsätze zu erinnern, die uns wirklich wichtig sind:
Wir sind stark, wir sind viele.
Wir gehen mit einander auf die Straße.
Wir gehen für einander auf die Straße.
Natürlich ist Kritik innerhalb der queeren Szene berechtigt. Natürlich müssen wir einander auf Missstände aufmerksam machen und uns kritisch miteinander auseinandersetzen. Aber, und dieser Punkt ist für uns zentral, wir dürfen darüber nicht vergessen, wie es kommt, dass wir uns überhaupt in dieser Szene zusammengefunden haben, so unterschiedlich wir auch sind. Dass wir uns hier zusammengefunden haben, weil es da draußen Kräfte gibt, Menschen gibt, die uns alle abschaffen wollen, die uns alle unsichtbar machen wollen, die uns alle unserer körperlichen Autonomie berauben wollen. Deshalb sind wir überhaupt hier, wir bunter Haufen. Und das dürfen wir nicht vergessen.
Gegen diese Kräfte können wir uns wehren. Wir haben uns erfolgreich gewehrt. Wir haben Erfolge erzielt, was den Kampf um unsere Rechte und unsere Sichtbarkeit angeht. Und wir haben sie erzielt aufgrund von gemeinsamen politischen Aktionen. Wir haben sie erzielt, weil wir solidarisch für einander, miteinander auf die Straße gehen und in Projekten arbeiten. Weil wir uns gegenseitig unterstützen und beschützen.
Diese Solidarität ist kostbar und wir sollten sie erhalten.
Wenn ich mir die Intensität anschaue, mit der wir einander manchmal innerhalb der Szene angreifen, macht mir das deshalb Sorgen. Ich denke dabei an das Phänomen der Verschiebung, bei dem wir unsere legitime Frustration verschieben von den Leuten, die sie eigentlich ausgelöst haben, auf diejenigen, vor denen wir weniger Angst haben.
Wenn wir den Frust über zu wenig Sichtbarkeit, zu wenig Gelder, zu wenig Einfluss an einander auslassen – dann ist das Verschiebung. Wenn wir miteinander darüber diskutieren, welche queeren Projekte, welche Identitäten Unterstützung und Schutz mehr verdienen, statt miteinander gegen die Kräfte zu kämpfen, die dafür sorgen, dass Sichtbarkeit, Schutz und Gelder für uns alle Mangelware bleiben – dann ist das Verschiebung. Wenn wir diskutieren, ob Transfrauen oder Cisfrauen mehr Anrecht auf Frauenquoten haben, statt uns zu solidarisieren und gemeinsam zu fragen, wie es verdammt nochmal sein kann, dass es 2022 überhaupt noch Frauenquoten braucht – dann ist das Verschiebung.
Und sie schwächt uns!
Die Geschichte zeigt: wenig kann eine politische Bewegung so schwächen, wie Verschiebung. Verschiebung schwächt den Blick dafür, gegen welche Menschen und Institutionen man sich wirklich wehren muss. Schlimmer: Sie schwächt unseren Blick dafür, wer wichtige Bündnispartner*innen sein können.
In dem Moment, wo die heterosexuellen weißen Frauen sich darauf konzentrierten, schwarze Frauen und Lesben aus der Frauenbewegung auszuschließen, statt gemeinsam mit ihnen zu kämpfen, wurden sie schwächer. In dem Moment, wo die Arbeiter*innenbewegung ihren Frust über mangelnde Arbeitsplätze und schlechte Bezahlung gegen “Gastarbeiter” richtete, statt gemeinsam mit diesen gegen ausbeuterische Konzerne zu kämpefn, wurde sie schwächer.
Lasst uns diese Fehler nicht wiederholen!
Wir machen es unseren Gegner*innen damit sehr einfach.
Ich würde es ihnen aber gerne schwer machen.
Wenn wir für einander auf die Straße gehen, in politischen Gremien kämpfen. Wenn sich das kinderlose schwule Paar für das Recht lesbischer Mütter auf Stiefkindadoption einsetzt. Wenn sich Cis Menschen für das Recht von Trans Menschen für körperliche Autonomie einsetzen. Wenn sich Menschen ohne HIV/AIDS für die Bedürfnisse von Menschen mit HIV/AIDS einsetzen. Wenn bisexuelle Frauen für Lesben auf die Straße gehen und Lesben für bisexuelle Frauen.
Dann sind wir stark!
Das haben wir bewiesen.
Lasst uns zusammenstehen.
Lasst es uns uns leicht machen und den sexistischen, queerfeindlichen Kräften schwer.
Die Stärke, die wir hier heute spüren beim Dyke* March, in diesem Kollektiv, in dieser Demo: Die gibt uns Lebensfreude! Die gibt uns Stärke, die gibt uns Mut. Das, was hier gleich passiert, wenn wir losziehen, wenn die Queerelas spielen, wenn wir uns spüren, wenn wir uns feiern – das, meine Lieben, das ist der Stoff, aus dem Veränderung gemacht wird!